Allgemein

Warum Wissen nicht „die halbe Miete“ ist – G.I. Joe Fallacy Effekt

Wir wissen, dass es gesünder ist, Gemüse zu essen anstatt Pizza in uns zu stopfen. Wir wissen, dass Sport uns gut tut und Endorphine freisetzt. Trotzdem leben die meisten von uns nicht das objektiv für sie gesündeste Leben. Warum?

Woher kommt der Name „G.I. Joe Fallacy Effekt“?

In den USA gibt es eine Serie für Kinder, in denen eine Actionfigur namens G.I. Joe über gefährliche Situationen aufklärt. Kinder sollen z.B. aufmerksames Verhalten im Straßenverkehr lernen und wie sie Gefahren vermeiden können. Der letzte Satz einer jeden Folge war: „Now you know. And knowing is half the battle.“ (auf Deutsch: „Jetzt wisst ihr Bescheid. Und Wissen ist die halbe Miete.“)

Beispiele für den G.I. Joe Fallacy Effekt

Erstes Beispiel

Wenn wir eine optische Täuschung vor uns sehen, fallen wir auch dann auf sie herein, wenn wir wissen, dass sie nicht real ist.

Unser Wissen verändert nicht unsere Wahrnehmung.

Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Müller-Lyer-Illusion, die fast jeder kennt: Zwei Linien sind übereinander gezeichnet. An den Enden dieser Linien befinden sich je zwei kurze Linien entweder in spitzem oder in stumpfem Winkel zu der Grundlinie.

Müller-Lyer-Pfeile (Quelle: https://psylex.de/psychologie-lexikon/kognitiv/mueller-lyer.html)

Wir wissen, dass beide Linien gleich lang sind – wir haben diese Illusion schon so oft gesehen. Aber wenn jemand darauf bestünde, dass wir uns entscheiden, welche Linie länger ist, würden wir alle immer die obere wählen.

Zweites Beispiel

Ein etwas alltägliches Beispiel ist Geld: Wenn wir etwas für 19,99€ kaufen, wissen wir eigentlich, dass dieses Produkt nur einen Cent billiger ist als ein anderes für 20€.

Unser Gehirn aber bewertet den Kostenunterschied instinktiv als signifikant. Nicht umsonst haben die meisten Produkte ähnliche Preise: Wir alle fallen regelmäßig darauf rein, zu denken, dass wir mehr Geld sparen als es tatsächlich der Fall ist.

Warum reicht Wissen denn nicht aus?

Ein kognitiver Bias ist schuld!
Unser Gehirn ist so konzipiert, dass wir nicht in jeder Alltagssituation alles komplett neu überdenken müssen. Wir orientieren uns instinktiv an bisherigen Erfahrungen und reagieren entsprechend.

Nach Kahnemann (2011) basieren unsere Entscheidungen auf zwei Denksystemen: dem Unbewussten (einer Art Autopilot) und dem Bewussten (dem langsamen und logischen Denken).

Das Unbewusste ist so intuitiv, dass es extrem anfällig für Fehler ist und wir diese Fehleinschätzungen häufig gar nicht bemerken.

Ein weiteres Beispiel gefällig? Wir werden eher ungerne in unseren Lieblingskuchen beißen, wenn der in der überzeugenden Optik eines Hundehaufens gebacken wurde – auch wenn wir wissen, dass es sich um unseren Lieblingskuchen handelt.

Was bedeutet das für unseren Alltag?

Warum tun wir nicht automatisch das, von dem wir wissen, dass es besser für uns ist?

Warum fallen uns z.B. Sport und gesunde Ernährung so schwer – obwohl uns allen klar ist, dass wir davon profitieren?

Wie verändern wir denn unser Leben, wenn Wissen nicht ausreicht?

Wenn du etwas in deinem Leben ändern möchtest, reicht es nicht, dich über die Vorzüge dieser Veränderung zu informieren.

Du darfst aktiv deine Verhaltensweisen und Gewohnheiten ändern. Dazu darfst du jeden Tag aufs neue deinen inneren Schweinehund und den kognitiven Bias überwinden. Das ist anstrengend aber lohnt sich!

Dabei kann dir z.B. ein Coach, ein Psychologe oder auch ein Therapeut zur Seite stehen: Menschen dieser Berufsgruppe ist es möglich, deine Lage aus einem anderen Blickwinkel zu inspizieren. Wir können dir neue Perspektiven aufzeigen, wir kennen die Schwierigkeiten einer langfristigen Verhaltens- und Denkmusteränderung und wir kennen entsprechende Übungen, die dir helfen können. So können wir dich unterstützen, dich deinem „Traumleben“ näher zu bringen.

Du als Psychologin kannst doch gar keine psychischen Probleme haben…

Kurzfassung: Doch. Häufig höre oder lese ich diesen Satz. Ich gehe offen damit um, dass ich unter einer extrem schweren Sozialphobie und einer Double Depression (also Major Depression + Dysthymie, weil eines davon ja nicht genug gewesen wäre :D) litt, die ich durch eine Therapie in den Griff bekommen habe. Meistens.

Hin und wieder tauchen aber die störungsspezifischen Alltagsprobleme wieder auf. Wenn jemand mir sagt „aber du weißt doch, wie die Psyche funktioniert“, dann reagiere ich – je nachdem, wie viel Zeit ich gerade habe – manchmal mit einem Hinweis auf den G.I. Joe Fallacy Effekt.

Ja, ich bin depressiv, ich weiß, woher das kommt. Ich habe herausgefunden, wie ich in solchen Phasen handeln sollte, also dass ich z.B. Sport machen, das Haus verlassen, Freunde treffen, aktiv sein sollte. UND TROTZDEM: Nicht selten spielt mein depressives Gehirn mir einen Streich und rät mir dazu, doch lieber den ganzen Tag nur fernzusehen. Obwohl ich weiß, dass mich das noch unglücklicher macht. Aber auch ich muss dagegen ankämpfen. Zu wissen, wie ich mich verhalten sollte, ist nämlich leider nicht die halbe Miete. Es kostet eine Menge Überwindung, Erfahrung und jedes Mal auch ein wenig Kraft, „richtig“ zu reagieren. Aber es lohnt sich. Und wer weiß: Vielleicht hilft es ja doch, zumindest über diesen Effekt Bescheid zu wissen..?

PS: Ich glaube übrigens nicht, dass es mich zu einer schlechteren Psychologin macht, wenn ich wirklich erlebt habe, was ich „predige“. Ich kann nicht nur auf Lehrbuchwissen zurückgreifen sondern auch auf eigene Erfahrungen. Ich kenne die Schwierigkeiten, die mit einer kränkelnden mentalen Gesundheit einhergehen – und ich kenne Wege, wie man sie überwinden kann. Und wie wir alle kann ich dieses Wissen bei anderen sogar besser anwenden als bei mir selbst – zu meinem eigenen Leidwesen. 😀

Quellen:
https://psylex.de/psychologie-lexikon/kognitiv/mueller-lyer.html (abgerufen am 5.1.2021)
Černíková, A., & Suk, J. Prolegomena & Rationale for Critical Thinking Implementation. HRADEC KRÁLOVÉ JOURNAL OF ANGLOPHONE STUDIES, 24.
Kahneman, D., Lovallo, D., & Sibony, O. (2011). Before you make that big decision. Harvard business review89(6), 50-60.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert