Als das Format „Mädelsabende“ mich um ein Interview zum Tiktok-Trend „Stay-athome -girlfriend“ bat, musste ich diesen Begriff erstmal genauer einordnen.
„Was ist ein Stay-at-home-girlfriend?“
Dieser Trend findet sich (derzeit) bei heterosexuellen Frauen wieder, die sich um Haushalt, Sport und Beauty kümmern, während ihre reichen Partner Geld verdienen.
Sie haben keine eigenen Jobs und führen dennoch scheinbar einen Hochglanz-Lifestyle. Sie posten Videos davon, wie ihr Tagesablauf aussieht: Aufstehen, Skincare-Routine, Yoga und andere Sportarten, grüne Smoothies und gesundes Essen, Haus aufräumen und Essen für den Freund vorbereiten.
Klingt erstmal super entspannt, oder? Vielleicht sogar beneidenswert, besonders wenn wir selbst uns mit einem schlecht bezahlten Job herumärgern, den wir gar nicht mögen, oder?
„Was macht so ein Lebensstil mit der Psyche?“
Kurz gesagt: Erstrebenswert ist es nicht, sein Leben nur noch auf den Partner und das eigene Aussehen zu begrenzen. Diese Videos sind stark romantisiert und wie alles auf Social Media mit Vorsicht zu genießen, da sie weder die komplette Realität noch mögliche „Risiken“ abbilden.
Häufig sind diese „Stay-at-home-girlfriends“ auch sozial isoliert und geben andere Bindungen für ihre Partnerschaft auf. Somit fällt eine Menge an möglicher sozialer Unterstützung weg.
Wenn jemand sein Leben für einen anderen regelrecht pausiert, verdient diese Person beim „Stay-at-home-grilfriend“-Konzept kein eigenes Geld. Wenn sie unglücklich in ihrer Beziehung ist, hat sie weder einen Job noch finanzielle Rücklagen, die eine Trennung einfach ermöglichen würden. Die betroffene Frau kann der Beziehung also quasi nicht entkommen und auch innerhalb der Beziehung diese abhängigen Muster nicht auflösen. Das ebnet den Weg für missbräuchliche, ungesunde Beziehungsmuster.
Auch wenn eine Beziehung glücklich und gesund aussieht, bringt finanzielle Abhängigkeit eine Beziehung grundsätzlich in eine Schieflage, durch die beide Partner*innen sich nicht auf Augenhöhe begegnen können. Intensive Paargespräche sind nötig, um solche Beziehungsdynamiken stabil zu halten.
Wer keinen Job hat, läuft eher Gefahr, in depressive Muster wie z.B. Antriebslosigkeit und Motivationslosigkeit zu verfallen. Ein Beruf ist nämlich mehr als nur eine Geldquelle: Er gibt uns ein Stück Identität und insbesondere, wenn wir ihn für sinnvoll erachten, kann er uns regelrecht erfüllen.
Eigene Ziele sind grundsätzlich etwas Sinnstiftendes, das wir im Alltag häufiger hervorheben können, um unsere eigene Resilienz zu stärken. Auf diese zu verzichten, ist entsprechend selten gut für die Psyche.
Dazu kommt der starke Fokus auf das Äußerliche: Wer dafür lebt, möglichst „gut“ und „trainiert“ auszusehen, dessen Blickwinkel verengt sich auf jeden kleinen vermeintlichen Makel, wodurch Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und im schlimmsten Fall Komplexe entstehen.
Sich neben der Beziehung ein eigenes Leben aufzubauen, sorgt für Zufriedenheit, eine erhöhte Resilienz, mehr Lebensglück und selbstverständlich mehr Unabhängigkeit, wodurch wiederum mehr Freiheiten entstehen. Wer sein Leben selbst in die Hand nimmt, kann es selbst nach den eigenen Wünschen und Zielen verändern. Wer sein Leben in die Hand eines anderen gibt, ist zwangsläufig abhängig von dessen Wünschen und Zielen.
Selbstverständlich darf jede Person für sich entscheiden, ob sie dieses Konzept nicht vielleicht trotzdem ansprechend findet. Vor allem dann, wenn wir einen Beruf ausüben, der uns nicht gefällt, der vielleicht auch nicht gut bezahlt ist, klingt so ein Lebensstil erstmal nicht schlecht.
Die langfristige Lösung zu einem veränderten und für dich selbst besseren Leben liegt dennoch in dir selbst und nicht in jemand anderem.
Wenn sich Unabhängigkeit wie eine Gefahr oder eine Beleidigung für deine Beziehung anfühlt, dann nimm dir Zeit, hinzuschauen, warum das der Fall ist.
„Macht das eigentlich auch etwas mit den Männern?“
Mehr Männer berichten, Gespräche mit ihren Partner*innen seien langweilig, wenn diese nur zu Hause blieben, da sie „nichts Interessantes zu erzählen“ hätten, da sie ja nichts erleben. Ob dieses Beziehungsarrangement also Männer auf Dauer glücklich macht, ist auch nicht gesichert!
„Und warum machen diese Frauen solche Tiktoks?“
Der Transparenz halber muss man sagen, dass einige der Frauen genau deshalb ihre alltäglichen Routinen filmen, weil sie damit Geld verdienen. Einige von ihnen, u.a. diejenige, die diesen „Trend“ startete, arbeiten als Influencerinnen und generieren somit durchaus ihr eigenes Einkommen mit Werbung.
„Was würdest du Frauen empfehlen, die in so einer Beziehung sind?“
Generell empfehle ich all meinen Klient*innen das eigene Leben für keine Beziehung der Welt aufzugeben oder zu pausieren.
Wenn du in der Lage bist, vom Geld deines Partners zu leben, dann ist er in der Lage, eine Haushaltshilfe zu engagieren. Und du bist in der Lage, dir Hobbys zu suchen, das Haus zu verlassen, Freund*innen zu treffen, dich nach deinen Wünschen weiterzubilden oder zu reisen. Wenn eine Person dir all das verbieten möchte, ist das eine große „red flag“.
Frage dich: Warum möchte mein Partner mich in dieser Abhängigkeit halten? Möchte ich das? Wessen und welches Leben möchte ich leben?
Ganz abgesehen von den psychischen Nachteilen, die eine solch abhängige Beziehung mit sich bringt, ist sie auch auf vielen Ebenen instabil. Was passiert, wenn dein Partner sich von dir trennt oder gar unerwartet stirbt? Wie ist dein Lebensunterhalt dann gesichert? An wen kannst du dich wenden und wer wird dich unterstützen?
Auch wenn du freiwillig zu Hause bleiben und nicht arbeiten möchtest, möchte ich dich dazu ermutigen, soziale Bindungen beizubehalten und auf all diese Eventualitäten eingestellt zu sein.
„Und was, wenn ich als Mutter zu Haus bleiben möchte?“
Dieser Blogpost behandelt ausschließlich das Thema „Stay-at-home“-girlfriend und damit einhergehende Risiken für die eigene Psyche, da auf diese in entsprechenden Tiktoks nicht eingegangen wird.
Wenn Mütter zu Hause bleiben, ist ihr Fokus in aller Regel nicht auf die eigene Schönheit gerichtet, sondern sie erfüllen Aufgaben, die sie selbst als sinnstiftend erleben. Das Großziehen eines Kindes ist ein Vollzeitjob und nicht damit zu vergleichen, dass jemand die Zeit zu Hause dazu nutzt, das eigene Äußere und den Haushalt zu optimieren.
Meinen dazu passenden Instagrambeitrag findet ihr hier: https://www.instagram.com/p/CmuHsVQM9jN/